Donnerstag, 24. Dezember 2015

Nichts mehr zu machen!?

25. Tag (Heiliger Abend)


Da ist nichts mehr zu machen – aus, vorbei!
Die Kündigung liegt auf dem Tisch – die Kinder sind verstummt, die Mutter sorgt sich und der Vater ist eben mal Zigarettenholen gegangen.
Dieses Weihnachtsfest ist kaputt – die Angst hat den Raum erfüllt und nichts erinnert an „Fürchtet euch nicht!“

Da ist nichts mehr zu machen – aus, vorbei!
Der Schulverweis ist ausgesprochen – der Vater tobt, die Mutter weint, der Teenie bockt. Dieses Weihnachtsfest ist kaputt und die Stimmung erinnert eher an Krieg als an „Friede auf Erden.“

Da ist nichts mehr zu machen – aus, vorbei!
Austherapiert – dieses Wort hängt im Raum. – Letzte Station Hospiz.
Dieses Weihnachtsfest wird das Letzte sein – wer hat etwas von „den Menschen seines Wohlgefallens“ gesagt?

Da ist nichts mehr zu machen - aus, vorbei!
Auf dem Meer bei der Flucht, als das Wasser ins Boot schlägt und der Wellengang hoch ist. Die Kraft fast am Ende - Verzweiflung in den Gesichtern - und der Gedanke: Es ist egal, wo du stirbst.

Da ist nichts mehr zu machen – du änderst dich doch nicht und nebenan im Radio dudelt ein Werbejingle: „Ich will so bleiben, wie ich bin! – Du darfst!“
Will ich wirklich so bleiben, wie ich bin? Denn viel zu oft ertappe ich mich dabei, dass das Bild, wie ich gerne wäre nicht mit der Realität zusammenpasst. Ich würde gerne freundlicher, liebevoller, fürsorglicher, langmütige, geduldiger sein....
Und dann stehe ich mir doch wieder selbst im Weg.
Wir alle – unsere Welt: ein hoffnungsloser Fall?

Nein, sagt der Schreiber des Titusbriefes:
Titus 2, 11-14 (nach Basisbibel):

"Denn die Gnade Gottes ist erschienen, die allen Menschen Rettung bringt.
Sie bewegt uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen.
Dann können wir in der jetzigen Zeit als besonnene und gerechte Menschen leben und unseren Glauben ausüben.
Gleichzeitig warten wir darauf, dass die Hoffnung in Erfüllung geht, die uns glückselig macht 
und darauf, dass die Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus erscheint.
Der hat sein Leben für uns gegeben. So hat er uns von allem erlöst, was aus der Gesetzlosigkeit entsteht. Und so wollte er sich ein reines  Volk erschaffen, das ihm gehört – ein Volk, das nur darauf aus ist, Gutes zu tun."

Da gibt es also immer noch Entwicklungspotential nach oben. Du musst nicht bleiben, wie du bist! Die Gnade Gottes verändert, wirkt an dir. Deine Sehnsucht kann gestillt werden. – es muss nicht bleiben, wie es ist. Gott legt dich nicht fest.

Er nimmt uns an wie wir sind, und er lässt uns nicht unverändert. Gott legt uns nicht fest auf das was war. Er schenkt uns unseren Retter.
Das Kind in der Krippe zeigt uns, dass wir zu besonnenen, friedvollen Menschen werden können. Nicht weil wir es müssen!
Die Gnade Gottes befähigt uns – ertüchtigt uns, ein Leben zu führen, wie Gott sich das für uns ausgedacht hat.
Gott nimmt uns bei der Hand, führt uns ein in das Leben – erzieht, indem er sich selbst hingibt.
Gott nimmt uns an die Hand. Nicht wie ein schlechter Lehrmeister mit Peitsche und erhobenen Zeigefinger.
In einem Kind kommt Gott uns nahe und macht sich verletzlich, liefert sich aus, gefährdet sich.
Wer so „erzieht“, ist auf gleicher Augenhöhe. Wer so "erzieht", lebt aus der Liebe. 
Doch – da geht etwas. Ein Retter der Situation, ein Retter der Welt, unser Retter ist heute zur Welt gekommen. Gott hat sein bestes Wort gesprochen: "Ich liebe dich Welt und dich Mensch. Ich bin deine Zeit. Ich weine deine Tränen. Ich bin deine Freude. Ich bin in deiner Angst, denn ich habe selbst mitgelitten. Ich bin in deiner Not. Ich bin in deinem Tod. Ich bin immer für dich da! Und ich gehe nicht mehr weg." - Das alles meint Gnade.

Doch! Da geht noch etwas!
Die Ungewissheit vor der Zukunft lässt sich nicht wegdiskutieren. Aber die freundliche Nachfrage des Nachbars und das „Fress-Paket“, das jemand einfach vor die Türe gestellt hat, ist ein kleines Hoffnungslicht angesichts der Arbeitslosigkeit. In der Kirche beim Kleider-Café, war jemand, der angeboten hat, bei der Arbeitssuche zu helfen und mit auf die Behörden zu gehen.  
Heute ist unser Retter zur Welt gekommen!

Doch! Da geht noch etwas!
Von dieser Schule ist er nun geflogen – aber auf einmal sitzen sie dann doch am Familientisch zusammen. Sie kommen ins Reden. Nicht über Vorwürfe, sondern über Verletzungen, Befürchtungen, Sorgen, Enttäuschungen und Mangel. Langsam beginnt das Wahrnehmen der anderen am Tisch. Ein weiter Weg liegt noch vor ihnen – aber sie wollen es gemeinsam schaffen.
Heute ist unser Retter zur Welt gekommen!

Doch! Da geht noch etwas!
Ja, es wird das letzte gemeinsame Weihnachtsfest sein. Aber sie werden es bewusst gestalten. Noch einmal ganz viel Zeit miteinander verbringen. Im Hospiz hat jemand nach dem Lieblingsessen gefragt. Das wird ihnen gekocht werden. Prioritäten verschieben sich. Was jetzt noch zählt ist die Liebe, die sie einander geben können und die Erinnerungen an das Schöne. Was noch trennt, soll ausgeräumt werden.
Heute ist unser Retter zur Welt gekommen!

Doch! Da geht noch etwas!
Auf ihrer Flucht begegnen ihnen immer wieder Menschen, die sie als Menschen sehen und die ihnen helfen, wo es gerade nötig ist - mit Kleidung, mit warmen Getränken in den kalten Nächten, mit einer Notunterkunft provisorisch in einer Kirche eingerichtet, mit ersten Deutschunterrichtstunden, mit einem offenen Ohr für ihre Sorgen, mit einem warmherzigen Lächeln.
Heute ist unser Retter zur Welt gekommen!


Doch! Da geht noch etwas!
Ich muss nicht bleiben wie ich bin, durch Gottes Liebe kann ich mich verändern lassen – heute und all die Tage, die vor mir liegen.

Heute ist mein Retter zur Welt gekommen!
Amen.


(gehalten am 24.12.2015 in der Pauluskirche, Stuttgart-Vaihingen)