Sonntag, 29. März 2020

Komm und sei - überleben in der Krise

Predigttext: 1. Mose 7


Liebe Gemeinde,
Eine echte Quarantäne-Geschichte, diese Geschichte der Arche.
Und deshalb kommt heute auch ein Überlebender zu Wort.
Hört, was Noah euch erzählt:

Es war total verrückt. Dieser Gedanke eine Arche zu bauen und diesen Gedanken
dann in die Tat umzusetzen. Was musste ich mir alles anhören.
Aber es war abzusehen. Das Leben konnte so nicht weitergehen. Wir schlitterten auf
eine große Katastrophe zu. Und tatsächlich kam sie auch.
Wir zogen gemeinsam in die Arche. Meine Frau, meine Söhne und ihre Frauen,
Proviant und viele Tiere. Dann wurde die Türe geschlossen. Jetzt konnte niemand
mehr raus. Und plötzlich setzte der Regen ein. Wir hier drinnen waren in Sicherheit,
aber was passierte mit denen draußen? Es regnete unaufhörlich. Irgendwann
verloren wir jegliches Zeitgefühl. Ein Tag nach dem anderen. Wie viele Stunden waren
schon vergangen? Tage? Wochen? – Zeit spielte auf einmal keine Rolle mehr.

Am Anfang war es ja noch ganz nett, wir hatten uns noch einiges zu erzählen. Wir
freuten uns, Zeit miteinander zu haben. Wir genossen die Nähe. Aber auf die Dauer
wurde es richtig anstrengend. Das, was wir aneinander liebten, das war auch das,
woran wir uns rieben.
Und dann diese Enge. Keinen Platz zum Ausweichen. Aufeinander geworfen,
eingepfercht, keine Fluchtmöglichkeit. Die Zeit dehnte sich endlos aus. Die Haut
wurde dünner. Die Nerven lagen blank.

Das Wasser stieg und stieg. Unsere Gedanken wanderten zu den Menschen draußen.
Freunde, Verwandte - so viel Leid und Schmerz. Wir in Sicherheit, aber die da
draußen?
Der Gedanke an das viele Leid, trieb mich zum Wahnsinn.
In meiner Not schrie ich zu Gott: „Hättest du das nicht anders lösen können? Warum
wir und die anderen nicht? Bist du das, der diese Welt vernichtet? Oder hat die Welt
sich selbst vernichtet? Wer bist du, wenn du so voller Zorn sein kannst?“
Mein Glaube wurde erschüttert. Durchgeschüttelt, wie wir in der Arche. Auf
schwankender, stürmischer See verliert auch leicht der Glaube seine Stabilität.
Ich fühlte mich allein. Obwohl wir eine Schicksalsgemeinschaft in dieser Arche waren,
konnte doch tatsächlich niemand für mich meinen Lebensweg gehen. Niemand kann
meinen Schmerz auf sich nehmen. Niemand meine Trauer durchleben.
Unsere Gespräche wurden stiller. Wir spürten unsere eigene Angst. Wir ahnten, wie
unerträglich das ist, was die Menschen draußen zu tragen hatten. Wir spürten unsere
eigenen Grenzen. Wir sahen unsere Begrenztheit. Ist es möglich, das Leid der
anderen jeder Zeit, an jedem Tag und in vollem Ausmaß auszuhalten?
Dort in der Finsternis der Arche trugen die alten Namen, die wir Gott gegeben hatten,
nicht mehr. Früher hatten wir ihn „Allmächtiger“ genannt. Aber seine Macht schien
nicht zu wirken in den Wirren der Flut.
Früher hatten wir ihn „Barmherziger“ genannt. Aber wir konnten ihn nicht in
Verbindung bringen mit dem, was wir jetzt erlebten.
Im Dunkeln wird Gott oft namenlos.

Der Wasserpegel stieg und stieg an. Die Arche schaukelte.
Die tägliche Arbeit in der Arche lenkte uns ab. Alltagsroutine entstand in der
Ausnahmesituation. Diese Arbeiten stoppten unser Gedankenkarussell.
Wir mussten damit fertig werden, dass wir wohl in Sicherheit waren, während da
draußen die Welt unterging.
Wir lernten, was es bedeutet, das Leid eines anderen nicht jederzeit, an jedem Tag
und in vollem Ausmaß aushalten zu können. Es tat gut eigene Grenzen zu spüren. Wir
trauerten, gemeinsam und doch jede und jeder auf seine Weise.

Je dünner die Haut wurde, umso empfänglicher wurden wir aber auch für das Gute.
Wir lernten einander neu kennen. Und wir lernten Gott neu kennen.
Alte Texte, Geschichten, Lieder stiegen in mir wieder an die Oberfläche. Die viele Zeit,
die wir auf einmal hatten, ließ uns unsere Geschichten miteinander teilen.
Erinnerungen lebten auf – Lachen erfüllte den Raum.
Zeit hatte ich auf einmal auch mehr für Gott. Aus meinem Streiten mit ihm wurde
immer mehr ein Hören auf ihn.
Ein Lächeln der Anderen wurde so zu einem Gruß von Gott.
Im Nachhinein erkannte ich, dass Gott in dieser finsteren Zeit einen menschlichen
Namen trug. Er verbarg sich in ermutigenden Worten, Zeichen der mitmenschlichen
Nähe. Aber nicht nur menschliche Namen bekam Gott, sondern gerade auch heilige.
Namen, die mir Zuversicht gaben, weil sie über mein menschliches Begreifen hinaus
gingen.
So wuchsen Gott neue Namen zu, die mit diesen Erfahrungen gefüllt sind. Namen,
denen ich Vertrauen schenkte.
In der Dunkelheit sind sie neu geboren, wie in einer „heiligen“ Nacht.

Danke, Noah – für das Teilen deiner Erfahrung mit uns. 
Noah, wir schweigen mit dir,
wir zweifeln mit dir, 
wir sehnen uns mit dir
mit dir wollen wir glauben.


Bleibt behütet und gesegnet.

Amen.